Best-Practice Beispiel: Herbert Scheuermann

  13.01.2025    BLV Top-News BLV
Laufen können alle. Bei den inklusiven Lauftreffs des TV Eppelheim bestimmt die Geschwindigkeit die Strecke. Herbert Scheuermann erzählt im Interview, wie das funktioniert und warum es wichtig ist mutig zu sein.

„Ich habe ein bisschen ein Problem damit, es so darzustellen, als wäre das etwas Besonderes, denn es ist Normalität. Das einzige Besondere ist vielleicht unser Mut.“ So Scheuermann über die Inklusion geistig oder körperlich behinderter Menschen in seiner Laufgruppe. Die einzige Voraussetzung mitzumachen ist schlicht und einfach, dass man laufen kann. Dabei spielt auch der Begriff „Behinderung“ keine Rolle: „Wenn ich eine Muskelzerrung habe, dann bin ich in dem Moment auch behindert, kann aber trotzdem mitmachen, wenn ich langsam mache.“

Innerhalb eines Lauftreffs geht es nach einer gemeinsamen Aufwärmphase in verschiedenen Tempogruppen los. Nach 45 Minuten treffen sich dann alle wieder auf dem Sportplatz - wie viel Kilometer jede:r Einzelne absolviert hängt von der individuellen Geschwindigkeit ab. Ist eine Tempogruppe zu langsam, geht man einfach in die nächste.

 

Wie startet eine inklusive Trainingseinheit?

„Zu Beginn findet eine sehr intensive und herzliche Begrüßung statt. Wir fangen mit einer gemeinsamen, langsamen Runde auf dem Sportplatz an, dann machen wir Lockerungsgymnastik und im Winter auch Übungen zur Lauftechnik und Motorik. Dabei gebe ich Bewegungsanregungen, oder -impulse: Wenn wir zum Beispiel kleine rhythmische Sprünge machen wollen lege ich Blocks oder Ringe aus, dann läuft das automatisch. Danach geht’s raus.“

Nehmt ihr an Wettkämpfen teil?

„Meine ursprüngliche Vorstellung war, dass ich mit den Menschen mit Behinderung auch mal an Läufen teilnehme. Jetzt ist es so, dass diese nicht so lange Strecken laufen können und auch nicht so schnell sind, darum haben wir bisher auch nicht an Läufen teilgenommen. Bei den AOK-Firmenläufen wurde jetzt das Konzept „Laufen für ALLE“ ins Leben gerufen. Hier hat man eine kürzere Strecke eingeführt, um auch Menschen mit Beeinträchtigungen, mit und ohne Begleitung, eine Teilnahme zu ermöglichen. Eine gute Sache. Das probieren wir gerne mal aus.“

Was ist die größte Herausforderung im inklusiven Training?

„Die größte Herausforderung war tatsächlich, dass am Anfang niemand kam. Da war ich ein wenig ratlos, aber ich wusste von der Projektgruppe Inklusion innerhalb unserer Gemeinde. Diese ist eine Gruppe Ehrenamtlicher der Stadt Eppelheim, die sich zusammengefunden haben, um das Thema Inklusion weiterzubringen. Durch diesen Kontakt wurde ich an Eltern vermittelt, die Kinder, auch erwachsene Kinder, mit Einschränkungen haben.

Ich habe großen Respekt vor den Eltern, die immer dafür kämpfen, dass ihre Kinder im Leben ankommen. Das heißt aber auch, dass sie schon oft abgelehnt wurden, weshalb viele relativ vorsichtig sind. Um diese Hürde zu überwinden, muss man einfach mal dastehen und sagen: ‚Es darf jeder zum Schnuppern kommen - ohne Einschränkung‘. Beide Seiten müssen sich trauen und ganz offen aufeinander zuzugehen. Man selbst muss sich trauen Fragen zu stellen und die Menschen mit Handicap müssen sich trauen zu sagen ‚hier bin ich, ich will mitjoggen‘. Die Herausforderungen beim Breitensport sind weniger die Finanzen, eher der Mut von beiden Seiten aufeinander zuzugehen.“

Wie sind die Athlet:innen ohne Einschränkung damit umgegangen, dass Athlet:innen mit Einschränkung in der Gruppe sind?

„Völlig problemlos. Ein Beispiel: Insbesondere für erwachsene Menschen ist es oft sehr schwierig in eine neue Gruppe zu gehen. Deswegen mache ich immer ein Kennenlernspiel, bei dem zwei Personen zusammen eine Runde laufen und sich gegenseitig Fragen beantworten. Dadurch laufen sie schön langsam und kommen mit fremden Menschen ins Gespräch. Auch mit unseren aktuellen drei Athlet:innen mit geistiger Behinderung haben wir das gemacht und alle haben von Beginn an gemerkt -  Alles ganz normal. Ob das Miteinander funktioniert, hängt nicht von der Behinderung ab.“

An wen hast du dich bei Fragen zum Thema Inklusion gewendet?

„Man hat am Anfang viele und banale Fragen, wie zum Beispiel: ‚Versteht mich die Person? Was ist, wenn sie nicht hört, wegläuft oder auf die Toilette muss? Wie lang kann sie laufen gehen? Was mache ich, wenn ich keine rollstuhlgerechte Toilette habe?‘ Um alle diese Fragen zu beantworten sind die Menschen der Projektgruppe da, aber vor allem auch die Eltern. Und diese haben mit den Fragen keine Probleme. Nach relativ kurzer Zeit hat man keine Berührungsängste mehr. Ich gehe mit diesen Menschen ganz offen um und wenn ich etwas wissen will, dann frage ich. Das ist ein wichtiger Punkt!  Man muss sein Herz öffnen und sich trauen - das gilt für beide Seiten.“

Gibt es etwas, das du Trainer:innen empfehlen würdest, die noch keine:n Sportler:in mit Behinderung trainieren?

„Einfach starten und reinwachsen. Ich würde die Latte am Anfang ganz niedrig halten und einfach sagen: ‚jawoll, ihr seid willkommen‘ und im Endeffekt - hört auf euer Herz!“

Was empfiehlst du den Athlet:innen, die sich nicht trauen?

„Einfach mal den Mut aufbringen und fragen, ob man mitmachen darf. Insbesondere in Breitensportgruppen sind Menschen, die offen sind und gerne in der Gemeinschaft Sport treiben möchten. Menschen mit Beeinträchtigungen sind ein Teil davon.“

Die wichtigste Frage zum Schluss: Was bedeutet für dich Inklusion?

„Inklusion bedeutet für mich eine Normalität und eine Offenheit allen Menschen gegenüber.“

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